Offener Brief an die Redaktion des BR zum Tatort “Klingelingeling”

Während sich die evang. und kath. deutschen Kirchenoberen nicht zu Bettelverboten in den Großstädten zu Wort melden nahm der Erzbischof von Salzburg, Franz Lackner, im Juni 2016 an einer Demo gegen Bettelverbote mit 200 Teilnehmern in Salzburg teil und forderte "Betteln ist Menschenrecht". Darüber berichteten die Salzburger Nachrichten und Der Standard.

Offener Brief an die Redaktion des BR zum Tatort “Klingelingeling” vom 26.12.2016 um 20:15 in der ARD
von den Bettellobbies Oberösterreich, Graz, Salzburg, Wien

Wir verurteilen die Diffamierung von bettelnden Menschen!

Sehr geehrte Frau Heckner, sehr geehrte Frau Golch, sehr geehrter Herr Mühlfellner,

AktivistInnen der Bettellobbies Österreich haben gestern wie fast 7 Millionen weitere Zuschauer den Tatort „Klingelingeling“ gesehen. Wir beschäftigen uns seit vielen Jahren mit dem Thema Betteln in Österreich und stehen in direktem Kontakt zu vielen BettlerInnen. Wir unterstützen bettelnde Menschen in rechtlichen Belangen,  konkret beeinspruchen wir diverse Strafverfügungen (Allgemeinverfügungen) mit sehr guten Erfolgen, schreiben zum Teil die sogenannten Bettelschilder, begleiten die Menschen als Vertrauenspersonen zur Polizei oder zum Gericht und decken Behördenwillkür auf. Außerdem sammeln wir Informationen über die Situation der BettlerInnen, bereiten diese auf und geben sie in Workshops und Vorträgen weiter.

UND wir kämpfen gegen Vorurteile, falsche Medienberichte und rassistische Hetze. Letzteres veranlasst uns dazu, uns in einem offenen Brief an Sie zu wenden.

Im Tatort vom 26.12. wird geschätzt 20 mal das Wort Bettelmafia verwendet. Auch die gesamte Darstellung lässt keinen Zweifel daran, dass eine solche existiert bzw. legt  nahe, dass zumindest ein Großteil der Personen, die dem Betteln nachgehen, dies nicht aus freien Stücken tun und über Erbetteltes auch nicht persönlich verfügen dürfen. Diese Darstellung entspricht jedoch nicht der Realität. Es gibt keinen einzigen bewiesenen Fall mit gerichtlichem Urteil, in dem mafiöse Strukturen durch sogenannte Hintermänner nachgewiesen wurden. Diese vermeintliche Mafia wird im Film als Legitimation für Bettelstrafen dargestellt. Dem entgegen gibt es bereits in drei österreichischen Bundesländern wissenschaftliche Publikationen, in denen die Situation dieser Menschen beschrieben und dargestellt wird. Die Bettellobbies haben in den letzten Jahren zahlreiche BettlerInnen in ihren Unterkünften besucht und festgestellt, dass die Wohnsituation durchaus prekär ist, jedoch keinerlei Ähnlichkeit zu den ‘Käfigen’ im Film besteht. Der mediale Diskurs ist geprägt durch viele unbewiesene Behauptungen und schlecht recherchierte Medienberichte. Nun kommt ein Krimi dazu - produziert von einem öffentlich rechtlichen Sender, der „...den verfassungsrechtlich vorgegebenen Auftrag (hat), einen Beitrag zur individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zu leisten und so zu einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen beizutragen.” Der Tatort vom 26.12. trägt nicht zur individuellen Meinungsbildung bei. Nicht nur erschafft er eine ominöse Bettelmafia, er gibt auch noch Handlungsanweisungen an seine ZuschauerInnen. Udo Wachtveitl gibt in seiner Rolle den Hinweis: “Das Beste ist, den BettlerInnen kein Geld zu geben!”

Zudem produziert der Tatort neue Vorurteile. Den BettlerInnen würden Drogen verabreicht. Dies ist ein Umstand, von dem wir, die im persönlichen Kontakt mit einem Großteil der hier bettelnden Personen sind, noch nie etwas gehört haben. Rassismus wird darüber hinaus gefördert, indem die bösen organisierten rumänischen BettlerInnen den netten einheimischen Obdachlosen entgegen gestellt werden. Wie auch der Tatort “Klingelingeling” nicht zu einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen beiträgt, da im konkreten derart populistische Sendungen dazu beitragen können, dass BettlerInnen von PassantInnen vermehrt verbal aber auch handgreiflich angegangen werden.
Grundsätzlich ist nichts falsches daran, einen Krimi zu solch einem sensiblen Thema zu produzieren, doch es wäre angebracht, dann auch sensibel mit der Thematik umzugehen. Wünschenswert wäre, Sie hätten im Vorfeld der Produktion Kontakt zu BettlerInnen aufgenommen und Vorurteile in der Realität überprüft. Falls Sie daran noch Interesse haben, stehen wir Ihnen gerne als VermittlerInnen zur Verfügung und freuen uns über eine Kontaktaufnahme.

Des Weiteren wünschen wir uns eine Klarstellung der Tatsachen. Dies könnte zum Beispiel über einen ausführlichen, reflektierten Bericht vor oder nach der nächsten Tatort-Ausstrahlung passieren, indem auch BettlerInnen selbst zu Wort kommen.  Wichtig wäre, dass diese Klarstellung auch fast 7 Millionen Zuschauer erreicht.

Dieser offene Brief ergeht an sämtliche Pressestellen wie auch als Beschwerde an den Presserat.

Mit freundlichen Grüßen,
Für die Bettellobbies Oberösterreich, Graz, Salzburg, Wien! Thomas Diesenreiter, Joachim Hainzl, Alina Kugler und Heinz Schoibl,