Beschwerde an Rundfunkrat wegen Tatort "Klingelingeling" und BR-Polizei-Interview

Mail vom 04.01.2017
Betreff: Beschwerde über Tatort "Klingelingeling" sowie BR-Polizei-Interview

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Mail vom 21.12. wandte ich mich an Herrn Dr. Scolik - siehe ganz unten. Am 30.12. antwortete Herr Bönte - siehe unten -, ohne dass vor bzw. nach dem Tatort eine auf heutigem Wissensstand basierende Relativierung der Stimmungsmache gegen Bettler erfolgt wäre.

Herr Bönte schreibt, dass die Thematik ... "gründlich und zeitintensiv" ...recherchiert worden sei und verwies auf den Link zum BR-Interview  mit Polizeihauptkommissar Röske, wobei ich diesen bereits in meiner mail vom 21.12. nannte, als Beleg, dass die Münchner Polizei eben keine Beweise für eine "Bettelmafia" hat.

Apropos Herr Röske: Auch einige Vermutungen, nur zwei Einzelfälle und kolportierte, unüberprüfbare Aussagen. Keine Unschuldsvermutung, wenn er z.B.insistiert  "Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Bettler für gewisse Einbrüche zumindest mitverantwortlich sind". Im "BR-Interview mit Herrn Röske wurde schnell klar,  dass es nur um Fragen zu möglichst den Inhalt des Tatorts bestätigende "Fakten" ging. Der BR benutzte drei mal das Hetzwort "Bettelmafia". In der Frage, gewürzt mit einer falschen Behauptung  "Wie empfinden Sie selbst den Begriff der "Bettelmafia", den d i e  P r e s s e  geprägt hat," wird ignoriert, dass die auflagenstärksten Blätter in Bayern, die SZ und die Nürnberger Nachrichten, schon deshalb, weil die Lokalredakteure eine Rüge des Presserates fürchten müssten, dieses rassistische Unwort so weit ich mich zurückerinnere  bis heute n  i e  verwendeten. Bitte selber nachprüfen ! Mit der BR-Frage "Wie ist das polizeiliche Vorgehen beim Aufspüren von  m a f i ö s e n  Bettler b a n d e n ? " wurden dann die letzten Hemmungen, in Apostroph zu setzen, abgelegt.

Kein Wunder, dass im Tatort die "Bettelmafia" mehr als 10 mal vorkommt. Da werden neue Vorurteile geschürt und Emotionen angestachelt, Bettler würden z.B. durch Drogen gefügig gemacht. Und wenn Herr Bönte meint, dass in der PE doch nur von einem "organisierten Bettlerclan" die Rede ist und damit der Artikel in SZ-Fernsehen - siehe ganz unten - deren Entscheidung gewesen sei, "Bettelmafia" zu verwenden, dann will er verschleiern, dass Medien-Journalisten schon vorab im BR-online-Vorführraum den Film abrufen konnten.

Wie sich "Tatort"-Aussagen sogar in seriösen Blättern niederschlug zwei Beispiele von Medienredakteurinnen, die den Rat des "Kommissars Leitmayr" verinnerlichten "Die einzige Möglichkeit etwas zu tun, ist nichts zu geben". In der SZ "Warmes Herz" vom 24.12. - siehe ganz unten - hieß es "Auch hier, im vorweihnachtlich saukalten München, soll der Zuschauer etwas  l e r n e n  über den Zustand der Welt. Deshalb schenkt Kommissar Leitmayr den netten bayerischen Pennern vom Friedhof (...),  weil (...) natürlich nicht alle Bettler zu fiesen Banden gehören und manche  unsere Großzügigkeit sehr wohl verdient haben".

In den NN "Kling Kasse klingelingeling" vom 24.12. - siehe ganz unten - ist auch erstmals von der "Bettlermafia, die menschenverachtend in deutschen Innenstädten operiert" die Rede, die "osteuropäische Männer wie Frauen mit Drogen vollpumpen ..." Und auch hier heisst es auf Rat von Kommissar L., nichts zu geben  "Und wer diesen Tatort gesehen hat, wird sich künftig wohl schweren Herzens daran halten". 

Natürlich gibt es organisiertes Betteln, wohl auch nicht nur durch Familien, wie ich es persönlich kenne.  Arme, die hierher transportiert werden, Verpflegung brauchen, teils eine Unterkunft und die dafür einen eher kleinen Teil behalten können, was sie erbetteln. Für sie ist das aber immer noch besser als in Rumänien von noch weniger zu leben.

Von einem öffentlich-rechtlichen Sender müsste man erwarten, dass journalistische Standards eingehalten werden und auch "die andere Seite"  bei angeblich "gründlicher und zeitintensiver Recherche" zu Wort kommt. Z.B. mit einem Kenner aus der Zivilgesellschaft wie dem Sozialarbeiter der Caritas München, Herrn Kalinov. Siehe Link

http://www.focus.de/politik/deutschland/nach-muenchen-tatort-polizei-kann-es-nicht-beweisen-was-ist-dran-am-mythos-bettelmafia_id_6417582.html

Die Caritas München sah übrigens anlässlich der Münchner Allgemeinverfügung gegen Bettler im August 2014 bereits voraus, dass diese "die Ausländerfeindlichkeit schürt, anstatt den Armen zu helfen":

Caritas gegen Bettelverbot München*

In der Altstadt und im südlichen Bahnhofsviertel ist das gewerbsmäßige Betteln künftig tabu. Das haben Kreisverwaltungsreferat und die Polizei beschlossen – nur das stille Betteln soll weiterhin erlaubt bleiben. Die Caritas stellt diesem Vorstoß ein vernichtendes Urteil aus: „Dieser Versuch, die Armen aus der Innenstadt zu verdrängen, wird ins Leere laufen und die Falschen treffen“, so die Caritas gestern. Die Allgemeinverfügung werde dazu beitragen, dass oberflächlich betrachtet die Bettler verschwinden, die Armut jedoch bleibe. Die Caritas warnt: „Die Verfügung ist auch dazu geeignet, die Ausländerfeindlichkeit zu schüren, anstatt den Armen zu helfen.“ Für Polizeibeamte sei kaum zu unterscheiden, ob jemand gewerbsmäßig bettelt – oder nur für seinen eigenen Lebensunterhalt.

In Quer war am 19.4.12 ein Beitrag über "Rumänische Roma in Ingolstadt". Dort wurde ein Foto mit einem deutlich sichtbarem Gesicht eines Rom beim Stuhlgang in freier Natur gezeigt. Ich berichtete Bildungsminister Spänle anlässlich seines Grußwortes bei einer Sinti- und Roma-Tagung  vom 26. - 28.4.12 im Doku-Zentrum in Nürnberg davon, der zusagte, meine Beschwerde an das zuständige Gremium weiterzuleiten.  Die Sequenz wurde in der dort stattgefundenen Podiumsdiskussion "Kulturelle Identität und mediale Darstellung der Minderheit in Deutschland und Europa" aufgegriffen und einhellig als gegen die Menschenwürde gerichtet verurteilt. Der Querbeitrag wurde damals auch von den Rassisten von "Politically incorrect" aufgegriffen unter  www.pi-news.net/2012/04/zigeuner-in-ingolstadt-800-haufen-pro-Tag/ Mit Schreiben vom 28.9.12 teilte mir der Vorsitzende des Rundfunkrates, Herr Lenze, ohne weitere Begründung,  mit, dass in dem Quer-Beitrag kein Verstoß gegen das in § 3 Rundfunkstaatsvertrag festgelegte Gebot, "die Würde des Menschen zu achten" vorliegt. Soll heißen, die Deutungshoheit haben immer noch wir ... In der Kampagne der Stiftung gegen Rassismus, die die Internationalen Wochen gegen Rassismus veranstalten, heisst es in der Serie "Rassismus fängt im Kopf an" BETTLER  BANDEN  KLAUKINDER . Ich fordere daher den BR nochmals auf, in welcher Form auch immer, in realistischer Weise bundesweit über ausländische Bettler im Zusammenhang mit dem Tatort in München zu informieren.

Mit freundlichen Grüßen
Günther Wagner

*Abendzeitung MÜNCHEN Freitag, 8. August 2014 Seite 5 DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Verlag Die Abendzeitung GmbH & Co., München A57816621 Eine Dienstleistung des SZ-Archivs.


Antwort des BR vom 30.12.2016
Betreff: Ihre E-Mail vom 21. Dezember 2016

Sehr geehrter Herr Wagner,

besten Dank für Ihre Mail vom 21. Dezember. Sie beanstanden auf Grundlage des Artikels in der Beilage „SZ-Fernsehen“, dass im Zusammenhang unseres Tatort „Klingelingeling“, der sich mit organisiertem Betteln an Weihnachten befasst, von „Bettelmafia“ gesprochen wird und weisen darauf hin, dass unbewiesen sei, dass kriminelle Strukturen hinter diesem Betteln stehen.

Hierzu möchte ich festhalten, dass die Thematik dieses „Tatorts“ – wie bei allen BR-Beiträgen zu der Krimireihe – im Vorfeld gründlich und zeitintensiv durch Redaktion und Produktion recherchiert worden ist. In unserem Pressetext zum Film, der im Vorfeld an die Medien ging, wird auch nicht von einer „Bettlermafia“ gesprochen, sondern von einem „organisierten Bettlerclan". Insoweit war es eine Entscheidung von „SZ Fernsehen“, in der Unterzeile der Überschrift zum fraglichen Artikel den Begriff „Bettlermafia“ zu verwenden.

Was Ihre Forderung nach einer Darstellung des polizeilichen Wissenstands angeht, darf ich auf nachfolgendes Interview mit dem Münchner Polizeihauptkommissar Robert Röske verweisen: http://www.br.de/presse/inhalt/pressedossiers/tatort/tatort-klingelingeling-interview-roeske-100.html. Darin wird der Begriff „Bettelmafia“ in Anführungszeichen verwendet und auch im Gespräch problematisiert.

Ich möchte Ihre Kritik aber nicht einfach „abwehren“ sondern Ihnen für Ihren Hinweis danken. Die Münchner Tatorte werden dafür geschätzt, dass sie sich auch an schwierige Thematiken heranwagen. Umso wichtiger bleibt deshalb der sensible Umgang mit möglichen realen Hintergründen.

Mit den besten Wünschen für das neue Jahr und in Wertschätzung Ihrer Arbeit für amnesty international,

Andreas Bönte
stellvertretender Fernsehdirektor


Mail am 21.12.2016
Betreff: Tatort Klingelingeling am 26.12.16

Sehr geehrter Herr Dr. Scolik,

ich wende mich an Sie als verantwortlichen Fernsehdirektor für diese Sendung des Bayerischen Rundfunks.

Seit vielen Jahren beobachte ich wie die SZ über die Bettler in München und die NN über jene in Nürnberg berichten. Bereits im Rahmen der Einführung des sogen. Allgemeinverfügung im August 2014 in München wurden Polizeipressesprecher mindestens zweimal von der SZ interviewt, ob es mafiöse Strukturen gibt, was diese nicht bestätigen konnten. Und was übrigens auch dem Polizeihauptkommissar  Röske im BR-Interview, Stand 14.11.16, nicht gelang... "Es ist für uns sehr schwierig, konkrete Aussagen über eine "Bettelmafia" zu machen".
Als der Münchner Polizeipräsidiums-Präsident Andrä 2014 in der SZ Bettler als Bettlerbanden bezeichnete teilte ich ihm mit, dass das PP Nürnberg ausschließlich von organisierten Bettlergruppen bzw. organisierten Bettlern spricht.

Eine Bande, eine kriminelle Vereinigung,  besteht, wie Sie sicher wissen, laut Großem BGH-Senat für Strafsachen aus mindestens drei Mitgliedern. Begründet wird dies damit, dass erst bei drei Mitgliedern eine erhöhte Gefährlichkeit besteht. Solange also keine Hintermänner, denen eine "erhöhte Gefährlichkeit" bewiesen werden kann, dingfest gemacht werden können, ist das Schlagwort Bettelmafia, auch wenn es in Apostroph steht, eine rassistische Verleumdung, weil es eine ethnische Minderheit stigmatisiert.

Aufgrund der BR-PE wurde z.B. in SZ-Fernsehen vom 20.- 26.2.16 über "Schmutziges Weihnachtsgeschäft"  mit Hetzunwörtern wie  "Bandenstrukturen" und "Bettelmafia" berichtet, die "zur Not über Kinderleichen" geht -  siehe ganz unten. Wenn es um Bettler geht ist offensichtlich nicht nur der Bild jedes Mittel recht. Auch wenn dieser "Tatort" nur eine fiktive Geschichte erzählt muß aufgeklärt werden, dass unbewiesen ist, dass kriminelle Strukturen hinter organisiertem Betteln steckt.

Ich fordere Sie daher auf, sicherzustellen, dass in einem Vor- oder Nachwort dieser Sendung über den aktuellen polizeilichen Wissensstands berichtet wird.

Mit freundlichen Grüßen
Günther Wagner
Sprecher amnesty international Lauf/Hersbruck